GESCHICHTEN AUS DER PROVINZ | ||||
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Der Not gehorchend
Der Andrang ist deutlich größer geworden: Immer mehr Rendsburger werden zu Gästen an den Essen-Ausgabestellen der vom Diakonischen Werk des Kirchenkreises betriebenen Rendsburger Tafel. Der Grund, so Diakonie- Amtsleiter Ulrich Kaminski: "Steigende Verarmung". Gestern, 12.10 Uhr, Materialhofstraße 7 in Rendsburg: In zwei Räumen im Erdgeschoß sitzen gut 20 Menschen an den Tischen; Frauen, Männer, auch Jugendliche dabei. In fünf Minuten, immer um 12.15 Uhr, werden sie Tisch für Tisch aufstehen und sich für die Essen-Ausgabe anstellen. "Der Not gehorchend" sei er hier, erzählt der 62-Jährige, die Stimme erkennbar bitter. Als Klempner, Installateur habe er gearbeitet, bis vor zehn Jahren, "dann ist die Firma eingegangen". Lange Pause: "Seitdem habe ich kein Bein mehr an den Boden bekommen". Von den Lehrgängen erzählt er, zu denen ihn das Arbeitsamt geschickt hatte, vom Abstieg in die Arbeitslosenhilfe, dann in die Sozialhilfe; keine 500 Euro hat er heute im Monat zum Leben - für die ganze Familie. 12.15 Uhr, Diakonie-Mitarbeiterin Giesela Schult rollt das Essen heran. Leberragout, Schweine- und Rinderbraten mit Erbsen, Karotten, Kartoffeln, Reis stehen auf dem Speiseplan - alles gespendet, die Reste aus Kantinen, Großküchen, auch Restaurants. Zwei mal am Tag machen die Diakonie-Autos ihre Runden durch die Stadt; das Eingesammelte wird meist eingefroren, aus den vier Gefriertruhen im Keller wird später der Speiseplan zusammen gestellt, in der kleinen Küche das Tagesmenu aufbereitet. 24 Jahre alt sei er, erzählt der junge Mann, der seinen Teller von Giesela Schult gerade hat füllen lassen. "Ich hab' eine Kochlehre, bin sogar Chefkoch - ich krieg' keinen Job". Bewerbungen habe er bis zum Umfallen geschrieben, versuche es weiter. Mehr als tausend Rendsburger sind als Arbeitslosenhilfe-Empfänger registriert, etwa 1300 stehen in der Sozialhilfekartei. Mit der Zusammenlegung nach "Hartz IV" werde deren Situation wohl nicht besser werden, hatte Ulrich Kaminski zwei Tage zuvor den Senioren vom SPD-Ortsverein erzählt, die sich bei ihm informieren wollten. Ganz still war es da vor den Kuchentellern geworden. Der 13-Jährige am Fenstertisch berichtet aus der Schule: "Da hänseln sie mich immer", weil die Familie von "der Stütze" leben müsse. "Aber ich verstecke mich nicht, ich denke, hier wird uns geholfen". An drei Ausgabestellen in der Stadt werde so geholfen, sagt Ulrich Kaminski von der Diakonie. Täglich würden 80 bis 90 Mahlzeiten ausgegeben, in der Materialhofstraße, in Maastbrook, in der Kolberger Straße nur an Kinder. Im übrigen könne jeder kommen, niemand prüfe die Bedürftigkeit - eine Spende werde da aber schon erwartet. Auch die Gäste in der Materialhofstraße spenden: Erwachsene einen Euro, Kinder 50 Cent. Wer es kann. PETER J. GOLLNIK, Juli 2004
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