OSTSEE-INITIATIVEN | ||
"Graswurzeln" rund um die Ostsee
- Als "leuchtendes Beispiel für Verantwortungsbewusstsein und Gemeinsinn" wurde im vorigen Oktober der Dörnicker Landwirt Herbert Bustorf mit der Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Bustorf vermittelte bisher unter anderem über 50 Jungbauern aus Estland Praktikumsplätze in modernen schleswig-holsteinischen Landwirtschaftsbetrieben. Vor zehn Jahren hatte Bustorf als Wehrführer des Amtes Plön-Land in Estland beim Aufbau freiwilliger Feuerwehren geholfen. - Der Partnerschaftsverein Bordesholm-Kekava sammelte Kleinmöbel und Haushaltsgeräte, die älteren Menschen in dem lettischen Ort Kekava übergeben wurden. Ende 1999 fuhren Handwerker aus Bordesholm nach Kekava, um die sanitären Anlagen der Schule aufzubessern. - Von Kiel aus unterstützt der Verein "Cura Hominum - Sorge von Menschen für Menschen" ältere Menschen, kinderreiche Familien und Arbeitslose in Estland. Die Spenden werden vor allem für Aufbau und Versorgung von Suppenküchen in Tallinn verwendet. - Auch Schleswig-Holsteins Wirtschaft ist nicht untätig; Beispiel coop (Sky, Wandmaker, plaza): In Zusammenarbeit mit einem finnischen Partner werden SB-Warenhäuser in den baltischen Staaten errichtet. - Ein bisschen Graswurzel-Initiative stellt auch das Schleswig-Holstein-Büro in Tallinn dar, eine Einrichtung der IHK Kiel und der Landesregierung. Kontaktschmiede und Dienstleistungsstelle will es sei, ein "Netzwerk, das die gegenseitigen Beziehungen gefestigt und Freundschaften gelegt und Erkenntnisse vermittelt hat", so Ministerpräsidentin Heide Simonis.
Forum zur Entwicklung des Ostseeraums in Kopenhagen "Projekt Europa" Kopenhagen. Was die Menschen im südöstlichen Ostseeraum jetzt bräuchten, seien Anstöße für die Wirtschaft und politische Stabilität, stellte der schwedische Wirtschaftsmagnat Peter Wallenberg gestern in seiner Rede zum Abschluß des ersten Jahrestreffens des "Baltic Development Forum" in Kopenhagen fest. Wie auch der frühere deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher sah Wallenberg den Ostseeraum als einen europäischen Entwicklungsraum der Zukunft. Wallenberg, der gern auch als "Mr. Ostsee der Wirtschaft" tituliert wird, vor den annähernd 400 Teilnehmern: Man höre zwar öffentlich nicht viel über die vielen kleinen Aktivitäten, aber sie trügen in ihrer Masse ganz erheblich dazu bei, den Ostseeraum nach oben zu bringen. Nötig sei allerdings noch ein langer Prozeß der Ausbildung sehr vieler Menschen. Europas Entwicklung der Zukunft liege im Ostseeraum, hatte zuvor auch Genscher festgestellt. Geradezu leidenschaftlich plädierte der frühere deutsche Außenminister, der einst gemeinsam mit seinem damaligen dänischen Amtskollegen, dem jetzigen Gipfel-Initiator Uffe Ellemann-Jensen, die Ostseeraumentwicklung zum EU-Thema gemacht hatte, für die schnelle Erweiterung der EU zu einem "Pan-Europa" einschließlich Rußlands: "Wir haben nicht erlaubt, hier zu stoppen." Das Europa des 21. Jahrhunderts werde ein Europa der Regionen sein, so Genscher. Schon geographisch seien St. Petersburg und Königsberg direkte Nachbarn in der Ostseeraum-Gemeinschaft. Genscher: "Die Frage, was das 21. Jahrhundert bringen wird, geht mit der Frage einher: Werden die Staaten Europas die Fehler des 20. Jahrhunderts wiederholen oder werden sie gelernt haben?" Das größte Risiko sei es, gegebene Chancen zurückzuweisen. Wie brisant das Ignorieren vorhandener Chancen sein kann, machte der Direktor des Moskauer Europa-Instituts, Sergej Karaganow, deutlich. Die Fehler, die die Nato mit ihrem Vorgehen gegen Jugoslawien gemacht hätten, machten "es Rußland schwer, einer Kooperation der baltischen Staaten mit dieser Nato freundlich gegenüberzustehen", so Karaganow. Der Westen dürfe zukünftig nicht ausschließen, daß Rußland bei "weiteren Fehlern der Nato" sich sogar zu Atomwaffeneinsätzen genötigt sehen könnte. Das sah Zbigniew Brzezinski, Sicherheitsberater des US-Präsidenten Carter, anders: Im Fall Jugoslawien habe die Nato richtig gehandelt; Rußlands Eigeninteresse angesichts der aufstrebenden Großmacht China müsse eine "verstärkte Einbeziehung in das Projekt Europa" sein. Schon jetzt orientiere sich die neue Generation der Russen nach Europa hin. Das eröffne die Chance auf ein größeres demokratisches Europa. PETER J. GOLLNIK ---->>mehr Veröffentlicht 19.05.1999, Kieler Nachrichten Neue Ideen für die Ostseeregion Erstes Gipfeltreffen des "Baltic Development Forum" Kopenhagen - Politische Stabilität und wirtschaftliches Wachstum seien das, was die Ostseeregion benötige - dafür müsse man nur die Menschen zusammenbringen. So beschrieb Dänemarks früherer Außenminister Uffe Ellemann-Jensen den Sinn des von ihm mitinitiierten ersten "Gipfeltreffens" des "Baltic Development Forum" in Kopenhagen. Das von der Privatwirtschaft getragene Forum will "neue Ideen präsentieren und den Gedankenaustausch fördern, um das Wachstumspotential der Region zu entwickeln - etwa wie ein "Davos der Ostsee". Die "400 einflußreichsten Personen aus den Staaten rund um die Ostsee" seien in Kopenhagen zusammengekommen, so die Veranstalter. Diskussionsbeiträge präsentieren unter anderem der frühere deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher, der einstige US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski, Estlands Präsident Lennart Meri sowie Wirtschaftsvertreter, unter ihnen der schwedische Industriemagnat Peter Wallenberg. Auch Schleswig-Holsteins Wirtschaft ist vertreten - auf dem Podium moderierte gestern der Kieler IHK-Hauptgeschäftsführer Wolf-Rüdiger Janzen das Thema "Investment, Kultur und Identität". Außenwirkung will die Dänen-Initiative weniger über ihre als regelmäßige jährliche Einrichtung geplanten "Gipfeltreffen" erreichen, als vielmehr über die als Multiplikatoren dienenden Teilnehmer. Den Gipfeldiskussionen selbst, so Ellemann-Jensen, wolle man eine "informelle Atmosphäre" vorbehalten, in der ein ungezwungener und freier Ideenaustausch gewährleistet sein soll. "Eine beispiellose Erfolgsgeschichte" - Im baltischen Raum entsteht Europas Zukunftsregion Von Bonn im Stich gelassen? Als "eine beispiellose Erfolgsgeschichte" wird die bisherige Entwicklung des Raumes rund um die Ostsee von allen Seiten gefeiert, und in der Tat belegen das die Fakten. Schon macht das Wort vom "euro päischen Meer" die Runde, seit sich die EU das Wohl der Region zu eigen gemacht hat, die Beitrittskandidaten vor der Tür stehen. Womöglich sind die Hoffnungen, die nach Brüssel (und in Deutschland auch nach Bonn) zielen, aber um einiges zu hoch gesteckt: Unter die euphorischen Töne mischt sich zunehmend Kritik am bisherigen Vorgehen, heben Warner ihre Finger, wird von Handlungsbedarf gesprochen. Was einst, 1987 war das, vom damaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Björn Engholm als Vision einer "Neuen Hanse" propagiert worden war, ist längst zum Paradebeispiel grenzüberschreitender Kooperation in Europa geworden. Aus den von Schleswig-Holstein zusammen mit Dänemark angestoßenen vielen kleinen Zusammenarbeits-Projekten auf kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen, politischen Gebieten wuchs nach dem politischen Umbruch bei den östlichen Ostsee-Anrainern das heran, was die Region heute ausmacht. Am deutlichsten wird das Erreichte in den Zahlen, die Nordosteuropa als zusammenwachsenden Wirtschaftsraum ausweisen: Allein Deutschland exportiert inzwischen mehr Waren und Dienstleistungen in die Ostseeregion als in die USA, genau: für 92,4 Milliarden Mark im vorigen Jahr (USA: 76,7 Milliarden); für Schleswig-Holstein ist mit mehr als 25 Prozent seines Außenhandelsvolumens der Ostseeraum einer der wichtigsten Wirtschaftspartner. Aber ausgerechnet die deutsche Bundesregierung hat bei dieser erstaunlichen Erfolgsbilanz bisher eine eher passive Rolle an den Tag gelegt. Als einer der Kritiker dieser Zurückhaltung Bonns bemängelt Schleswig-Holsteins Justiz- und Europaminister Gerd Walter, daß man von einer aktiven ostseepolitischen Rolle Deutschlands "wohl kaum sprechen" könne - "von einer deutschen Strategie für die Ostseeregion ganz zu schweigen". Walter: "Vielmehr mußte man immer wieder den Eindruck gewinnen, Ostseekooperation werde vor allem für eine innere Angelegenheit der nordischen Staaten gehalten. Immer wieder war, wie früher auch in Brüssel, das Mißverständnis herauszuhören, die Konzeption des Mare Balticum vertrage sich nicht mit der Europäischen Integration". Der "Europäer" Walter, der über seine führende Rolle in den Institutionen der Subregionen maßgeblich Wegmarken bei der Ostseekooperation gesetzt hat, verweist auf die Aktivitäten anderer Ostseestaaten: So habe Schwedens Regierung ein mit einer Milliarde Schwedenkronen (etwa 200 Millionen Mark) ausgestattetes eigenes Ostseeprogramm aufgelegt, Schweden und Dänemark entwickelten gemeinsam die Öresund-Region (Kostenpunkt allein der Infrastruktur etwa 40 Milliarden Mark), Finnland mache sich derzeit stark für das nordöstliche Europa unter Einbeziehung Rußlands - so würden anderswo strategische Allianzen geschmiedet, um die Chancen der Entwicklung für das jeweilige Land zu nutzen. Walters Hoffnung, daß Deutschlands "erhebliche Interessen in der Region" im Zusammenhang mit dem Regierungswechsel in Bonn neu gewichtet werden könnten, haben allerdings bisher keinen sichtbaren Niederschlag gefunden. Auf der vorgestern vom Bonner Kabinett verabschiedeten Prioritätenliste der Bundesregierung für die EU-Ratspräsidentschaft ab Januar findet sich jedenfalls kein Hinweis auf wie auch immer geartete Ziele der künftigen Ratspräsidentschaft im Ostseeraum. Immerhin könnten die womöglich ab Juli doch noch auf die Tagesordnung kommen - wenn die dann fällige finnische Ratspräsidentschaft Deutschland den Vorsitz abnimmt und die Akzente für europäische Politik neu setzt. Den ersten - wenn auch noch kleinen - Erfolg können sich die Finnen schon heute auf ihr Konto schreiben: Ihre Initiative einer "nördlichen Dimension der EU" steht auf der Tagesordnung des nächste Woche in Wien stattfindenden EU-Gipfels. In der Vorlage für die europäischen Regierungschefs greift die EU-Kommission dem Vernehmen nach die finnischen Vorschläge auf und übernimmt den Focus der Finnen. "Grundsätzliches Ziel ist die Definition der Interessen der Union und ihre Prioritäten in diesem Raum klarzustellen, um eine diesbezügliche Politik auszuformulieren", hatte Finnlands Ministerpräsident Paavo Lipponen die Initiative erläutert, als er sie im Oktober 1997 vorstellte. Wobei Finnland die "nördliche Dimension der EU" als Gebiet von Island bis Nordwestrußland und vom Nordpolarmeer bis zur Südküste der Ostsee einschließlich der Ostseeanrainerstaaten definiert - also durchaus über den engeren Ostseeraum hinausgehend. Begründung der Finnen: Dieses Gebiet biete der Union ein großes wirtschaftliches Potential - im Nordwesten Rußlands und in der Barentssee-Region Erdgas- und Ölvorkommen von globaler Bedeutung zum Beispiel. Gleichrangig damit seien auch die Möglichkeiten, bei Gefahren wie Umweltzerstörung und mangelnde Nuklearsicherheit mit einwirken zu können. Noch die frühere Bundesregierung hat ihre "nachdrückliche" Unterstützung dieser Initiative ausdrücklich erklärt. "Kooperation mit Rußland ist unsererseits politisch gewollt, ökonomisch sinnvoll und von der Sache her notwendig", sagte Werner Hoyer, der damalige Staatsminister im Auswärtigen Amt, Anfang September bei der Parlamentarischen Ostseekonferenz in Lübeck. Hoyer: "Gerade im Hinblick auf das immer noch problematische Verhältnis zwischen Rußland und den baltischen Staaten ist die "nördliche Dimension" geeignet, Rußland bei der Einübung eines unverkrampften Verhältnisses zu Estland, Lettland und Litauen zu fordern". Und dann: "Wir werden versuchen, in der Verzahnung der beiden Präsidentschaften im 1. und 2. Halbjahr 1999 dem finnischen Vorschlag zum Erfolg zu verhelfen und einen detaillierten Aktionsplan zu erstellen". "Im Ostseeraum kann die Europäische Union ihr Meisterstück machen", sagte einmal einer der "Motoren" der Ostseezusammenarbeit, der Kieler IHK-Hauptgeschäftsführer Wolf Rüdiger Janzen, auf dessen Initiative auch der Zusammenschluß aller Handelskammern der Region zurückgeht. Janzens Satz ging noch weiter: "Wenn es ihr andererseits nicht gelingt, hier die Probleme zu lösen, wie will sie das erst in anderen Regionen Europas schaffen?" Auch Gerd Walter sieht das so: "Früher waren Sicherheit und Stabilität vom Gleichgewicht der Kräfte in den Blöcken abhängig. Heute spielt Stabilität in den Regionen Europas eine entscheidende Rolle - das Ganze wird nur so stabil sein wie jedes seiner Teile. Die Ostseekooperation ist dafür ein Schlüssel". Und dann: "Hier kann der tiefe Graben zwischen Arm und Reich überwunden werden, hier wird "en miniature" Gesamteuropa gelingen - oder scheitern". Der Graben zwischen Arm und Reich - auch das ist ein Risiko, das nach Beachtung verlangt. "Ein Schritt über den Grenzstrich von Finnland nach Rußland bedeutet einen durchschnittlichen Wohlstandsrückgang auf rund ein Zehntel; ähnlich verhält es sich bei einer kurzen Fährpassage von Schweden in die baltischen Häfen", skizzierte das Christian Wellmann, stellvertretender Direktor des schleswig-holsteinischen Institutes für Friedenforschung an der Uni Kiel, diese Woche beim monatlichen Ostsee-Kolloquium ("Kooperation und Konflikt in der Ostseeregion") seines Institutes. Dieses extreme Wohlstandsgefälle könne zu einem "in seiner Brisanz wohl kaum zu unterschätzenden, aber noch wenig wahrgenommenen sozialen Zündstoff auch für die grenzüberschreitenden Beziehungen in der Region werden. Grund zur kritischen Bestandsaufnahme, Grund zum Handlungsbedarf ist allemal vorhanden. Einen möglichen Ansatz bot einer der Teilnehmer des jüngsten Kolloquiums der Kieler Friedensforscher so an: Schließlich sei es doch auch Aufgabe der politischen Institutionen, gesellschaftliches Engagement zu fördern; folglich private Initiativen zu ermuntern und auch zu begünstigen. Eine Neubesinnung auf die einstigen "Graswurzeln" der Ostseekooperation also. Aus diesen ist schließlich einmal großes entstanden. PETER J. GOLLNIK, veröffentlicht 04.12.1998, Kieler Nachrichten Parlamentarier diskutieren in Lübeck Auswirkungen der EU-Erweiterung Jugendstiftung rund um die Ostsee Lübeck (-nik) Über die regionalen Auswirkungen der EU-Erweiterung nach Osten und die Bevölkerungskontakte rund um die Ostsee diskutieren heute und morgen in der Lübecker Musik- und Kunsthalle etwa hundert Parlamentarier aus allen Ostsee-Anrainerstaaten sowie Norwegen und Island. Gastgeber dieser siebenten Parlamentarischen Ostseekonferenz ist der schleswig-holsteinische Landtag. Die Konferenz versteht sich als parlamentarisches Gegenstück zum 1992 gebildeten Ostseerat, einer Organisation der Regierungen rund um die Ostsee sowie des Nordischen Rates. Ausgangsidee ist, einen lebendigen Dialog über die Zukunft der Region zwischen Parlamentariern und Ministern zu stimulieren. Das Gremium wurde 1991 auf finnische Initiative hin erschaffen. In ihm sollen Meinungen ausgetauscht, neue Ideen entwickelt und vor allem voneinander gelernt werden. Zum Abschluß der Lübecker Tagung soll morgen eine Resolution verabschiedet werden, in der die Rolle der Ostseeregion als Bindeglied zwischen EU-Mitglied- und Nichtmitgliedstaaten hervorgehoben wird. Die EU-Kommission soll aufgefordert werden, finanzielle Hilfen besser aufeinander abzustimmen, für die Beseitigung von Handelsverzerrungen im Ostseeraum zu sorgen, sowie Einkommensungleichgewichte zu vermindern. Von ihren Regierungen wollen die Parlamentarier die Gründung einer Ostseejugendstiftung verlangen und über die Forderung nach einer Überarbeitung und Angleichung der Sozialversicherungssysteme abstimmen. Veröffentlicht 07.09.1998, Kieler Nachrichten Merkel: Noch 40 Milliarden Mark für besseres Wasser Eine spürbare Verbesserung der Wasserqualität der Ostsee hat Bundesumweltministerin Angela Merkel als Erfolg der grenzüberschreitenden Umweltpolitik im nordosteuropäischen Raum hervorgehoben. Auf einer Konferenz des Bundesfachausschusses Umweltpolitik der CDU in Rostock bezifferte sie gestern den finanziellen Bedarf für entsprechende weitere Maßnahmen in diesem Gebiet allerdings auch auf umgerechnet insgesamt 40 Milliarden Mark in den nächsten 20 Jahren. Der Ostseeraum müsse mehr in das Blickfeld der Bundespolitik gerückt werden, hatte zuvor Ausschußvorsitzender Kurt-Dieter Grill in Rostock die Wahl des Themas "Ökologische und ökonomische Perspektiven für den Ostseeraum" dieser letzten Fachausschußkonferenz vor den Wahlen für Bundestag und (zeitgleich) Landtag Mecklenburg-Vorpommern begründet. Für eine nachhaltige Entwicklung dieses Raumes müßten vor allem Ökonomie, Ökologie und Soziales miteinander in Einklang gebracht werden. Grill: "Wir haben nicht nur mehr Ostsee, son dern auch mehr Chancen bekommen". Als beinahe durchweg positiv bezeichnete Ministerin Merkel die bis herige Entwicklung der Zusammenarbeit im Ostseeraum seit Anfang der 70er Jahre, als - auch mit der Sowjetunion und Polen - das erste Helsinki-Übereinkommen zum Schutz des Ostseegebietes unterzeichnet wurde. Das 1988 verabschiedete 50-Prozent-Reduzierungsziel für die wichtigsten Schadstoffe sei allerdings auch bis heute noch nicht in allen Punkten erreicht worden. Grund sei nach wie vor ein Mangel an industriellen und kommunalen Klär- und Reinigungsanlagen im Osten des Raumes sowie die weitere Einleitung von Nitraten und Phosphaten. Von den in einem Aktionsprogramm 1992 aufgelisteten 132 Sanierungsschwerpunkten seien allerdings inzwischen 15 "abgearbeitet" - darunter in Mecklenburg-Vorpommern die kommunalen Kläranlagen von Greifswald, Rostock und Stralsund. Seit der Vereinigung seien überdies allein in Mecklenburg-Vorpommern 40 größere Kläranlagen gebaut worden - unter ihnen die erste grenzübergreifende Anlage auf der Insel Usedom; sie verarbeitet neben den Abwässern der polnischen Stadt Swinemünde auch die der deutschen Bäder Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin. Merkel forderte in diesem Zusammenhang eine konsequente Umsetzung des 1992 von der Helsinki-Kommission zum Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebietes (Helcom) verabschiedeten Programms. In die Erfolgsbilanz der über 20jährigen Helcom-Aktivitäten gehöre andererseits auch die Vereinbarung über eine geregelte Schiffsöl-Entsorgung in den Ostsee-Häfen über eine allgemeine Umlage. Damit sei illegale Entsorgung auf See unwirtschaftlich geworden; die Ostseeregelung sei inzwischen sogar Vorbild für einen Richtlinienentwurf der EU-Kommission - damit sei die Ostseeregion zum Impulsgeber für Europa geworden. Als Schwerpunkt des Engagements der derzeitigen Bundesregierung bezeichnete Merkel die grenzüberschreitende Partnerschaft mit Polen. Neben der Kläranlage Swinemünde (die der Bund mit etwa 20 Millionen Mark mitbezahlte), habe auch die Abwasserbehandlungsanlage Gubin/Guben an der Neiße wegweisenden Modellcharakter. Grenzüberschreitend soll zukünftig auch ein 5300 Hektar großes Naturschutzgebiet in Vorpommern und der Wojewodschaft Stettin deklariert werden; auf polnischer Seite stünden bereits 900 Hektar unter Schutz. Thema war das einen Tag vor der Konferenz in Rostock bei einer Tagung des deutsch-polnischen Umweltrates in Misdroy . "An der Ostsee kann man heute beinahe zuschauen, wie Europa zusammenwächst", zog die Ministerin in Rostock ihre Bilanz. PETER J. GOLLNIK, veröffentlicht 02.07.1998
Wohl des Baltikums ist eigenes Wohl Kiel (-nik) Schleswig-Holsteins Zukunft hängt eng von der Entwicklung im Ostseeraum ab - Fazit eines Forums "Ostseekooperation" der Landeszentrale für Politische Bildung. Um "mehr Engagement, mehr Mut, mehr Unterstützung" von deutscher Seite warben dort gestern im Kieler Schloß wie Litauens Botschafter Zenonas Namavicius auch die Botschaftsräte für Wirtschaft Estlands und Lettlands, Tarmo Mutso und Ainars Bridags. Es gehe voran, es gehe aufwärts, so ihre mit Zahlen belegte Botschaft - aber manchmal bewege es sich doch noch viel zu langsam. Dabei könne der ehemalige Hanse-Raum gerade jetzt erneut zu einem "ökonomischen Kraftzentrum" aufgebaut werden, sagte Namavicius. Eben daran dürfe auch Schleswig-Holstein nicht etwa nur aus übergeordneten Gründen interessiert sein, mahnten sowohl der Kieler IHK-Hauptgeschäftsführer und Präsident der Baltischen Handelskammervereinigung, Wolf-Rüdiger Janzen, als auch Werner Kindsmüller, Abteilungsleiter im SH-Europaministerium - die Entwicklung des Ostseeraumes sei vielmehr von lebenswichtiger Bedeutung für die Zukunft Schleswig-Holsteins. Kindsmüller: Es komme gerade jetzt darauf an, wie es in dem gesamten Gebiet weitergehe - oder ob etwa nur die "Öresund-Region entwickelt wird und die Projekte an Schleswig-Holstein und auch an anderen Staaten vorbeilaufen". Seine Hoffnung: Daß die Ostseepolitik zum wesentlichen Bestandteil deutscher Außenpolitik wird. Veröffentlicht 07.11.1997, Kieler Nachrichten Vision vom "Europa 2010" Stockholm/Kiel. Autobahn-ähnlich verbindet die "Via Hanseatica" Bremen mit Riga, Stettin mit Danzig und Kaliningrad; von Lübeck bis St. Petersburg ist auf einem Fern-Radwanderweg gut radeln; mit einem "Ostsee-Ticket" lassen sich problemlos Zugverbindungen und Fähren von Kiel bis St. Petersburg, Helsinki, Danzig, Stockholm benutzen. "Visum" bleibt dabei ein Fremdwort, Zollformalitäten sind auf ein Minimum beschränkt oder wie alle Handelshemmnisse gänzlich entfallen; private Unternehmen haben im Baltikum, in Polen und Rußland für einen Boom gesorgt. Niemand leidet dort mehr Not, niemand muß mit Neid auf die "reichen Nachbarn" sehen. Nur Utopie - oder Vision, die in absehbarer Zeit Wirklichkeit werden könnte? Die Ostsee-Region ist derzeit in aller Munde, allein an Bewegung ist für den Bürger nur wenig auszumachen. In Stockholm diskutierte jetzt darüber unter dem Aspekt "Europa 2010" eine deutsch-schwedische Runde von Politikern, Regierungsbeamten, Politikwissenschaftlern, Militärs und Journalisten. Die derzeitige Wirklichkeit läßt Optimismus nicht unbedingt überall gerechtfertigt erscheinen: "Wer heute nach Moskau kommt, fühlt sich, als sei er in das London Charles Dickens" zurückgekehrt", formulierte der schwedische Publizist Svante Weyler in Stockholm den derzeit sichtbaren Stand der Dinge und warnte vor einer "sozialen Explosion" vor allem in Rußland. Weyler vermißt ausreichend tatkräftige Hilfe für den Aufbau in den baltischen Staaten, in Rußland, in Polen und kritisierte: "Die politische Führerschaft Schwedens und Deutschlands im Ostseeraum hat eine lange, starke Tradition - der Nichtaktivität". Der mögliche Grund: Es gebe eine starke Tendenz zur "Innenbeschau", zu allererst beschäftige man sich mit seinen jeweiligen innenpolitischen Themen; Weitsicht, über die Grenzen hinweg, sei kaum zu bemerken. Auch vom Bürger nicht - mit der Folge: "Die Leute kreuzen die Finger vor den Brüdern und Schwestern auf der anderen Seite der See". "Der Ostseeraum lebt mehr als jede andere Region in Europa - das ist eine Erfolgs-Story", verteidigte dagegen Gerd Walter, Schleswig-Holsteins Minister für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten und mit einer der "Väter" der Ostsee-Kooperation, die Kraft der bisherigen Aktivitäten vor der Stockholmer Runde. Tatsächlich hatte schon 1988 das Land Schleswig-Holstein durch die Errichtung von "Partnerschaften" Voraussetzungen geschaffen, mit EU-Förderung Kooperationsprojekte starten zu können; eine Fülle nichtstaatlicher Initiativen ermöglichen heute grenzübergreifende Zusammenarbeit in Wirtschaft und Wissenschaft, in der Kultur und beim Jugendaustausch. Tatsächlich wird inzwischen auch allen Ostseeanrainern für dieses Jahr ein Wachstum ihres Bruttoinlandsproduktes von mindestens drei Prozent (Estland sogar fünf Prozent) vorausgesagt; der Handel rund um die Ostsee boomt, in den Exportbilanzen fast aller Ostseestaaten nehmen die anderen Anrainer gewichtige Positionen ein - 25 Prozent der schleswig-holsteinischen Exporte gehen derzeit in den Ostseeraum: Die Region lebt. Dennoch: "Niemand koordiniert die Aktivitäten", wurde in Stockholm vorzugsweise auf schwedischer Seite immer wieder bemängelt, mehr Kooperation für die Entwicklung auf unterem Niveau gefordert. Und: Basisentwicklung könne auch dazu geeignet sein, "den militärischen Faktor aus dem Geschäft herauszunehmen", räumte auch der Bonner Außenamts-Staatssekretär Hans-Friedrich von Ploetz ein. Aber: Die Entwicklung müsse hinführen zu einer europäischen Identität. "Die Basis der Ostsee-Entwicklung ist in Brüssel - machen wir dort genug?" so Schleswig-Holsteins Europaminister Gerd Walter; die Frage sei auch: wer könnte die treibende Kraft sein? Eine "Initiative zur Förderung der politischen Stabilität und der wirtschaftlichen Entwicklung im Ostseeraum" hatte die EU-Kommission bereits vorgestellt. Inhalt: Zur Stärkung der Demokratisierung fördert die EU direkte Kontakte zwischen öffentlichen und privaten Einrichtungen einschließlich einer Reform der öffentlichen Verwaltung - sogar durch die Abstellung von Personal; die Errichtung einer Freihandelszone zwischen Estland, Lettland und Litauen bis hin zur Schaffung einer Zollunion wird vorangetrieben; Investitionsfonds sollen kleinere und mittlere Unternehmen fördern. Vor allem: Das Verkehrssystem soll ausgebaut werden, eine "Via Hanseatica" Bremen über Stettin und Danzig mit Riga verbinden, ein Korridor von Helsinki über St. Petersburg nach Moskau finanziert, baltische und polnische Häfen mit EU-Hilfe leistungsfähig gemacht werden. Die Weichen für die Zuständigkeit der EU sind - zumindest nach deutscher Ansicht - ohnehin bereits gestellt: Zehn Staaten in Mittel- und Osteuropa haben ihre Aufnahme schon beantragt. Sie müssen Anschluß an ein hochindustrialisiertes Gebiet finden, sich auf Konkurrenz vorbereiten, ein komplexes Rechtssystem übernehmen. Der Bonner Staatssekretär von Ploetz: "Uns Deutschen sind diese Probleme aus Ostdeutschland bestens - und schmerzlich - bewußt." Von Ploetz: "Der strategische Imperativ Europas für die nächsten Jahre besteht in der Erweiterung. Wir haben die historische Chance, Länder zu integrieren, die für ein halbes Jahrhundert vom Hauptstrom der europäischen Politik abgeschnitten waren. Ohne Zweifel ist die Erweiterungsstrategie der Schlüssel zu Stabilität und Wohlstand nicht nur in der Region, sondern auch zu dauerhaftem Frieden in ganz Europa." Und: Nicht nur im Hinblick auf die Zukunft Europas sei die Erweiterung ohne Alternative - "sie ist zugleich das beste Instrument eines vorbeugenden Krisenmanagements - und außerdem am kostengünstigsten". Allerdings: "Einen Fehlschlag können wir uns nicht leisten - wenn wir Fehler machen, werden wir teuer bezahlen müssen". Die Ostsee-Vision eines "Europa 2010" hätte sich dann als Utopie entpuppt. Aber, so der schwedische Außenamts-Abteilungsleiter Anders Bjurner: "Wer hätte vor 13 Jahren, 1984, geglaubt, daß wir 1997 so weit sein könnten?" PETER J. GOLLNIK ---->>Mehr Veröffentlicht 10.04.1997, Kieler Nachrichten Statt NATO Sicherheit durch Kooperation? Mit der Forcierung der Zusammenarbeit ihrer Anrainer-Staaten wird die Ostsee nicht nur zum europäischen Binnenmeer. Neben Polen verlangen seit geraumer Zeit die baltischen Staaten danach, daß auch in militärischem Rahmen ihrem Sicherheitsbedürfnis Rechnung getragen werden sollte. Deren angestrebter Beitritt zur Nordatlantikpakt-Organisation stößt allerdings nicht überall auf offene Unterstützung. Nach wie vor ist die nicht vorhersehbare Entwicklung in Rußland für den Ostseeraum ein Faktor, der Unsicherheit hervorruft - darüber waren sich alle Teilnehmer der schwedisch-deutschen Diskussionsrunde "Europa 2010" im Stockholmer Außenministerium einig. Vor diesem Hintergrund drängen die baltischen Staaten mit dem Argument: "Wenn wir langfristigere Perspektiven wollen, dann brauchen wir auch stabilere Bindungen im Sicherheitsbereich" in die NATO. Die wiederum zögert - auch mit Blick auf die ablehnende Haltung der russischen Regierung. "Eine Netzwerk-Kooperation schafft auch Sicherheit - letztendlich könnte das auch ein Nicht-Engagement der NATO in den baltischen Staaten kompensieren" - Schwedens Außenamts-Staatssekretär Jan Eliasson versuchte, den schwedischen Weg als Lösung aufzuzeigen. Man dürfe "das Boot nicht überlasten", wurde auch von deutscher Seite gegen eine schnelle Voll-Mitgliedschaft der Balten argumentiert - es sei nicht zu erwarten, daß "die Neuen mit allen ihren Einflüssen" auch so bald voll integriert" werden könnten. Der Weg der Schweden wie auch der Finnen ist ohnehin von Abwarten geprägt: Beide Staaten pochen auf ihre "andere Sicherheitslage". In einem gemeinsamen "Non-paper", das gleichwohl die regierungsamtliche Haltung wiedergibt, heißt es kritisierend auch: "Der Erweiterungsprozeß (der NATO) darf nicht so betrieben werden, daß er die sicherheitspolitische Lage der baltischen NATO-Kandidaten verschlechtert. Es sind konkrete Maßnahmen erforderlich, die dem Gerede von offenen Türen und einer gesamteuropäischen Sicherheitsgemeinschaft Glaubwürdigkeit verleihen". Sowohl Schweden als auch Finnland favorisieren eher einen gesamteuropäischen Atlantischen Partnerschaftsrat, der "direkt an die eigenen Strukturen der NATO geknüpft sein" sollte. Bei einer Ost-Erweiterung der NATO verlangen beide ausdrücklich eine "neue Definition des Verhältnisses zwischen NATO und Rußland". Ein grundsätzliches Nein zu einer NATO-Vollmitgliedschaft mögen weder Schweden noch Finnland aussprechen: "Unsere beiden Länder sind sich bewußt, daß unsere Bündnisfreiheit ein Mittel ist - kein Ziel. Dies ist nicht einmal für alle Zeit festgeschrieben". Möglicherweise mit Grund, wie es ein deutscher Militär formulierte: "Wenn die Entwicklung sich im Jahr 2010 als Erfolg herausstellen würde, würden alle so schnell wie möglich hineindrängen...(-nik) Veröffentlicht 10.04.1997, Kieler Nachrichten |
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