DIE OSTSEE-GIPFELTREFFEN | |||
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12.12.1999 Die Ostsee-Familie ist sich nicht einig Helsinki. Mit der Aufnahme von Litauen und Lettland in die erste Reihe der EU-Kandidaten schließt sich der Kreis, der die Ostsee zum europäischen Binnenmeer macht, weiter. Doch so einig wie eine "baltische Familie" sein sollte, agieren "alte" wie "neue" Ostseeländer nicht. Gerade bei den "Neuen" in der Ostsee-Familie wird der pure Konkurrenzkampf sichtbar: Jeder will der erste sein beim Rennen um einen festen Platz am Brüsseler Tisch. "Der Beste muss zuerst kommen," drückte das Litauens Präsident Valdas Adamkus beim EU-Gipfel in Helsinki aus - und wähnte selbstverständlich Litauen auf diesem Platz, trotz sichtbaren Haushaltsdefizits, negativer Handelsbilanz und eines Lebensstandards von nicht einmal 30 Prozent des EU-Durchschnitts. Nachbar Lettland wiederum sieht keine Gründe, gemeinsam mit Litauen am EU-Verhandlungstisch zu sitzen - dazu sei Litauen zu rückständig; Lettland hätte schon vor zwei Jahren verdient, in die erste Reihe aufgenommen zu werden. Wie auch Estland (das bereits vor dem Helsinki-Gipfel an den Verhandlungstisch gebeten worden war, zeitgleich mit Polen) fühlt sich Lettland ungerecht behandelt. Insbesondere die von der OSZE zugrunde gelegten "internationalen Maßstäbe" bei Minderheiten-, Sprachen- und Staatsbürgerschaftsgesetzen würden viel zu streng ausgelegt. Einen anderen Weg als den in die Gemeinschaft sieht Lettlands Außenminister Indulis Berzins aber auch nicht: "Die Zeit der kleinen Nationen ist vorbei," sagte er in Helsinki. Gar nicht familiär-einiges Verhalten zeigte sich in Helsinki auch am Hoffnungs-Thema der finnischen Ratspräsidentschaft, dem Thema "Nördliche Dimension der EU". Schon im Vorfeld hatten Schweden und Dänemark diesem Versuch, eine neue gemeinsame Plattform für die gesamte Region zu entwickeln, einiges an Wichtigkeit abzusprechen versucht. Möglicher Grund ist auch hier der pure Konkurrenzneid - schon jetzt profitiert Finnland von seiner bisherigen - rein nationalen - Zusammenarbeit mit Russland. Beispiel sind russische Gaslieferungen nach Finnland. Auch den Balten passt der finnische Vorstoß nicht so recht, würde doch bei einer Verwirklichung unter anderem russisches Erdöl eher über Finnland verschifft werden, als etwa, wie jetzt, über das lettische Butinge. Dennoch haben offenbar auch andere europäische Staaten erkannt, welche Möglichkeiten für Stabilität und Sicherheit in Europa eine gemeinsame Arbeitsplattform beim Ausbau der Beziehungen zu Russland bieten könnte. Wenigstens als Arbeitsauftrag an die Kommission wurde so die "Nördliche Dimension" in Helsinki verabschiedet. Und sogar Portugal, für das nächste halbe Jahr nach dem Einstieg ins Jahr 2000 im EU-Vorsitz, machte sich stark dafür - ganz ohne die Starrköpfigkeit südlichen Konkurrenzdenkens. PETER
J. GOLLNIK,
11.12.1999 "Zurück in die europäische Familie" Das von der EU gestern in Helsinki abgegebene Startsignal zur Aufnahme konkreter Beitrittsverhandlungen mit sechs weiteren Staaten ist bei den Ostseeländern Litauen und Lettland mit Beifall und Aufatmen aufgenommen worden. Mit der Slowakei, Rumänien, Bulgarien und Malta stehen sie nun in der ersten Reihe der Beitrittsbewerber. Mit Aufatmen reagierten die meisten Länder der "Ostsee-Familie" gestern auch auf die Reaktion des Europäischen Rates gegenüber Russland wegen des Krieges in Tschetschenien. Insbesondere die finnische Ratspräsidentschaft hatte sich äusserst eindringlich gegen das Verhängen von Sanktionen gestemmt - das gefährde die Beziehungen zum russischen Ostsee-Nachbarn, argumentierte sie. Es gebe viele gegenseitige Abhängigkeiten im Verhältnis der nördlichen EU-Staaten zu Russland; Russland müsse weiterhin ein "strategischer Partner" für die EU bleiben, begründeten finnische Aussenamts-Beamte am Rande des Helsinki-Gipfels den Widerstand gegen die Verhängung von Sanktionen. Das Stoppen von laufenden und künftigen Förderprogrammen mache der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit möglicherweise den Garaus; es gefährde ausserdem sämtliche Bestrebungen, Russland in eine Sicherheitspartnerschaft einzubinden und der Region politische Stabilität und Sicherheit zu geben. Auch die beiden in Helsinki in die "erste Reihe" der Beitrittsbewerber aufgenommenen Ostsee-Staaten Litauen und Lettland signalisierten Erleichterung. Gerade Litauen mit der russischen Exklave Königsberg (Kaliningrad) als unmittelbarem Nachbarn hat sich immer wieder sowohl in direkten Verhandlungen als auch bei der EU für eine Einbeziehung des Königsberg-Gebietes in die regionale Entwicklung stark gemacht. Lettland wiederum hat sogar in jüngerer Zeit Erfahrung mit Reaktionen der Russen auf ihnen ungenehme westliche Entwicklungen machen müssen: Im vorigen Winter drehten die Russen den Letten zeitweise schlichtweg die Elektrizität ab, auf deren Lieferung Lettland angewiesen ist. Durch die Aufnahme konkreter Beitrittsverhandlungen mit der EU erhoffen sich beide Staaten nun auch eine grössere Sicherheit gegenüber möglichen russischen Restriktionen. Erst ein EU-Beitritt führe sie endgültig aus der russischen Einfluss-Sphäre hinaus, argumentierten auch gestern in Helsinki Vertreter beider Länder übereinstimmend. Und dann werde man erst einmal "dem Ausbau der gemeinsamen Verteidigung "höchsten Vorrang" geben, kündigte der Leiter der politischen Abteilung im lettischen Aussenministerium, Andris Kesteris, die nächsten Schritte an. Lettland hält sich schon lange für fit für die EU. Die Gespräche könnten "bis 2003" abgeschlossen sein, meint Lettlands Aussenminister Indulis Berzins."Wir wollen in die europäische Familie zurück, dort, wo wir hingehören". Litauens Aussenminister Algirdas Saudargas will zwar keine Daten nennen, hofft aber wenigstens darauf, dass sein Land bei "den ersten neuen EU-Mitgliedern" sein wird. Petras Austrevicius, Europabeauftragter der Regierung in Vilnius, ist konkreter: Schon "in zwei Jahren" könnten die Gespräche erfolgreich beendet sein, sagt er. Peter J. Gollnik veröffentlicht in Kieler Nachrichten 12.12.1999
09.12.1999 Tschetschenien-Konflikt bremst norddeutsche Erwartungen an den EU-Gipfel Ostseeraum nur Nebensache Im selben Maße, in dem Russlands Vorgehen in Tschetschenien mehr und mehr in den Vordergrund der Diskussionen des EU-Gipfels in Helsinki rückt, müssen die norddeutschen Küstenländer Abstriche an ihre Erwartungen gegenüber dem machen, was eigentlich auch in Helsinki gefestigt werden sollte: Die Einbindung der Zusammenarbeit im Ostseeraum in eine neue europäische Politik. Eigentlich hatte Norddeutschland neben der Vorbereitung eines Abschlusses der Osterweiterung von dieser Sitzung des Europäischen Rates auch den vollen Einsatz der EU bei der Verwirklichung einer echten Partnerschaft mit Russland erwartet. In einem Positionspapier einer bei den Ministerpräsidenten der Bundesländer Schleswig-Holstein, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Bremen angesiedelten Arbeitsgruppe heißt es, beide Punkte seien "insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung von Sicherheit und Stabilität" eng miteinander verknüpft - sie prägten "im besonderen Masse" die Entwicklungsperspektiven im gesamten Ostseeraum. Das Papier verweist auf die vielfältigen bereits erprobten nationalen und regionalen Kooperationen im Ostseeraum, die Brüssel zentral "in eine gemeinsame institutionelle Struktur" einbinden könne. "Gerade in weltpolitischen Krisensituationen" komme einer solchen zusätzlichen Basis besondere Bedeutung zu, stellen die norddeutschen Länder darin fest. Diese Perspektiven einer engeren Zusammenarbeit im Ostseeraum eröffne nämlich der russischen Regierung die Möglichkeit, das Angebot der strategischen Partnerschaft mit der EU zunächst in einem regional begrenzten Rahmen als Modell aufzugreifen und in der Praxis zu erproben. Als Ziel nennt das norddeutsche Papier eine EU-Konferenz "unter Einschluss aller EU-Mitgliedstaaten sowie aller Staaten der Ostseeregion" - also auch Russlands. Die
bereits gestern Abend in Helsinki in Delegationskreisen entbrannte
Diskussion über mögliche Folgerungen der EU gegenüber
dem russischen Vorgehen in Tschetschenien dürfte dieser
Einschätzung nun mindestens als vorläufige Bremse entgegenstehen.
Ernsthaft angesprochen wurde unter anderem bereits die vorläufige
Einstellung der Tacis-Fördergelder für Russland, die
insbesondere die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen
EU-Beitrittskandidaten und nordwest-russischen Regionen fördern
sollten. Als Chancen - und Forderungen - listet die norddeutsche
Minister-Arbeitsgruppe auf: PETER J. GOLLNIK, veröffentlicht in Kieler Nachrichten vom 10. Dez. 1999
08.12.1999
In seinem Einladungsschreiben an Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte Finnlands Ministerpräsident Paavo Lipponen das Thema Russland noch für den morgigen Gipfelabend sozusagen als Tischgespräch bei einem Diner im Präsidenten-Palais angekündigt. Mit dem Ultimatum der russischen Militärs gegenüber der Bevölkerung von Grosny dürfte die Diskussion über eventuelle Folgerungen in Helsinki indes ganz andere Dimensionen annehmen. EU-Kommissionspräsident Romano Prodi kündigte gestern in Brüssel bereits an, auch über mögliche Sanktionen gegen Russland sprechen zu wollen: "Wir sollten darüber sprechen, was eine Sanktion ist, und über die Konsequenzen von Sanktionen". Derzeit unterstützt die EU im Rahmen zum Beispiel des Tacis-Programmes Russland unter anderem bei Energie-, Umwelt- und Ausbildungsprojekten. Prodi: "Ich denke, es wird eine tiefe und ausführliche Diskussion über Tschetschenien geben". Die deutsche Regierung hatte bereits am Dienstag von Moskau "dringend" die Rücknahme des Ultimatums gegenüber den Grosnyern gefordert. Kanzler Gerhard Schröder machte in seiner Botschaft auch klar, die Verwirklichung der russischen Drohung werde das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und Russland entscheidend belasten - in einer solchen Lage könne auch kein Geld nach Russland fließen, das führe nur dazu, dass die Führung des Krieges von außen erleichtert werde. Unter dem verhärteten Verhältnis zu Russland dürfte nun auch die von Finnland vehement betriebene Initiative einer "Nördlichen Dimension" der EU-Politik zu leiden haben. Sie zielt, kurz gesagt, darauf ab, der Politik der Europäischen Union gegenüber Russland über regionale Kooperationen neue wirtschaftliche und natürlich auch politische Impulse zu geben - was in weiten Feldern in die derzeitige Ostsee-Politik hineinreichen und sich auch dort positiv niederschlagen würde. Immerhin wird nun in Helsinki zwar die EU-Kommission sogar mit den Stimmen der Südländer aufgefordert werden, zu dieser Initiative einen "Aktionsplan" zu erstellen - wann der dann aber "mit Leben erfüllt" werden kann, dürfte offen bleiben. Dabei hängt das Schicksal dieser Initiative nicht einmal nur an den Spannungen mit Russland - selbst wenn 2001 Schweden dem Rat vorsitzt, hat die "Nördliche Dimension" damit nicht automatisch auch einen Fürsprecher: Schweden - und auch Dänemark - tun sie immer noch als "wenig konkreten Einfall" schlichtweg ab. Ebenfalls den Folgen des russischen Tschetschenien-Abenteuers werden wohl zunächst konkretere Schritte bei den Bemühungen um eine weitere Einbeziehung der Enklave Königsberg (Kaliningrad Oblast) zum Opfer fallen. Insbesondere Litauen, nach dem Helsinki-Gipfel EU-Beitrittskandidat, hatte sich für eine Förderung durch die EU zugunsten besserer gegenseitiger Beziehungen stark gemacht. Ein ähnliches Interesse hat EU-Kandidat Polen. Das Geld aus Brüssel für notwendige Fördermaßnahmen dürfte jetzt erst einmal dort bleiben. In Helsinki werden die Staats- und Regierungschefs wenigstens in einem Punkt Harmonie nach außen ausstrahlen: Gleich für morgen vormittag steht die Verabschiedung "einer an die Bürger Europas gerichteten gemeinsamen Erklärung zum neuen Jahrtausend über die Lage und die Aufgaben der Union" im Programm. Erst dann soll die eigentliche Arbeit losgehen. Ein ganz und gar nicht harmonischer Abschluss ist auch schon festgeschrieben: Die Türkei monierte gestern den Einladungstext. Dort wird sie nämlich nicht als offizieller Kandidat sondern nur als "Bewerberland" bezeichnet. Und deshalb will Ministerpräsident Bülent Ecevit nun nicht am Abschluss-Essen teilnehmen... Peter J. Gollnik veröffentlicht
09.12.99 Kieler Nachrichten |
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