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22.06.2000

Ostseerat und Russland rücken zusammen


Bergen (nik) "Die Zukunft des Ostseerates in der Zusammenarbeit mit Russland ist jetzt gestartet" - so hat Deutschlands Außenminister Joschka Fischer (Grüne) gestern das Ergebnis des neunten Treffens der Außenminister aller Ostseeanrainerstaaten (dazu Norwegen und Island sowie Vertreter der Kommission der Europäischen Union) gewürdigt. Fischer übernahm im norwegischen Bergen mit Wirkung zum 1. Juli den Vorsitz im Ostseerat von seinem norwegischen Amtskollegen Thorbjörn Jagland. Die zehnte Ostseeratssitzung wird im Juni 2001 in Hamburg stattfinden. Das von Deutschland vorgelegte Arbeitsprogramm sieht unter anderem als Schwerpunkte die Einrichtung einer "Task Force" zur Nutzung moderner Informationstechnik vor, die Einrichtung einer Euro-Fakultät (Jura und Ökonomie) in Königsberg mit starker finanzieller Beteiligung der USA sowie die weitere Einbindung des russischen Kaliningrad-Gebietes in den EU-Aktionsplan "Nördliche Dimension". Dem Ostseerat gehören die Staaten Deutschland, Polen, Lettland, Litauen, Estland, Russland, Finnland, Schweden, Dänemark und - als Mitglieder des Nordischen Rates - Norwegen und Island an. Die EU-Kommission ist ebenfalls als Mitglied im Ostseerat vertreten.

Veröffentlicht in Kieler Nachrichten, 23.06.2000


22.06.2000


Joschka Fischers erfolgreicher Kurzauftritt in Bergen


Viel Zeit hatte er sich nicht genommen, der deutsche Außenminister Joschka Fischer, als er gestern in Bergen nach dem Frühstück vor dem Hotel "Norge" zur neunten Sitzung des Ostseerates vorfuhr. Bis Fischer dann gleich nach Mittag gleich wieder aufbrach, um nach Kiew weiterzufliegen, waren aber die größten Probleme gelöst, sogar Russlands Außenminister Igor Iwanow schien höchst zufrieden - und Fischer hatte sich gleichzeitig mit der Übernahme des Ratsvorsitzes mit einer langen Liste an geplanten Aktionen selber in die Pflicht genommen.

Die russische Delegation - mit weitem Abstand die größte in Bergen und von einem ansehnlichen Medientross begleitet - hatte sich äußerst kooperativ an der Ratssitzung beteiligt, berichteten Teilnehmer aus den unter Ausschluß der Öffentlichkeit laufenden Beratungen. Erstmals habe Russland die Einbeziehung seines Kaliningrader Gebietes in die Politik von Ostseerat und EU als "besonders zu entwickelndes Projekt" ausdrücklich befürwortet. Zuvor war erst kurz vor dieser Ostseeratstagung brisant gewordenes Streitthema offenbar zur Zufriedenheit Russlands bereinigt worden: Die insbesondere von Estland und Lettland angefeindete Ostseeratseinrichtung des Menschenrechtskommissars wird es weiterhin geben - allerdings heißt sie jetzt anders, und auch das Mandat wechselt seinen Inhaber. Als Kommissarin für "demokratische Entwicklung" wird in der Nachfolge ihres Landsmannes Ole Espersen die Dänin Helle Degen das Amt bis September 2002 inne haben. Espersen war bei Estland und Lettland in Ungnade gefallen, weil er nach Ansicht dieser beiden baltischer Staaten deren Umgang mit dem dort starken russischen Bevölkerungsanteil übertrieben kritisiert haben soll. Dagegen hatte sich Russland immer vehement hinter Espersen gestellt und eine Änderung bei der Einrichtung des Kommissars strikt verweigert. Seit gestern nun wird - mit russischer Zustimmung - das Amt der Espersen-Nachfolgerin definiert als "Instrument zur Förderung und Festigung der demokratischen Entwicklung in den Mitgliedsstaaten, gründend auf dem Respekt vor den Menschenrechten". (nik)

Veröffentlicht in Kieler Nachrichten, 23.06.2000




22.06.2000

Die "nordische Dimension" wächst


Bergen - Ein äußerst ehrgeiziges Aktionsprogramm hat sich Deutschland für die Zeit seines Vorsitzes im Ostseerat bis Ende Juni 2001 (dann übernimmt - in Hamburg - Russland die Präsidentschaft) vorgenommen. Außenminister Joschka Fischer legte seine Vorstellungen gestern bei der neunten Zusammenkunft der Außenminister aller Ostseeanrainerstaaten in Bergen/Norwegen vor. In vier wesentliche Gebiete gliedert die deutsche Präsidentschaft ihre geplanten Aktivitäten auf.


An erster Stelle der Komplex "Wirtschaftliche Zusammenarbeit", gleich gefolgt von der "Einbringung des Ostseerates in die Arbeiten der Europäischen Union für die nördliche Dimension" - heißt: Der Ostseerat stellt sich als Gremium für die Zusammenarbeit mit Russland der EU zur Verfügung. An dritter Stelle führt die deutsche Präsidentschaft den Umweltschutz auf. Als eines der Hauptanliegen wird außerdem die "Förderung der Ostseeregion als gemeinsamer Raum des Wissens, der kulturellen Identität und aktiver Bürgergesellschaft" genannt.

Letzteres weist die vermutlich interessantesten Punkte auf, von denen einiges auch gleich in Bergen in Gang gebracht wurde. So wird es noch in diesem Jahr eine weitere Euro-Fakultät (neben Tartu, Riga und Vilnius) in Königsberg geben. Vorerst auf drei Jahre projektiert, werden dort die Studienrichtungen Ökonomie und Recht unterstützt. In Bergen sagten für das Projekt Euro-Fakultät die als Beobachter teilnehmenden USA maßgebliche finanzielle Unterstützung zu. Weiter soll die Zusammenarbeit der Hochschulen gefördert werden mit dem Ziel der "Ausschöpfung des Wissenspotentials der Region". Wichtig auch für den deutschen Vorsitz - und von Außenminister Fischer gegenüber den Kieler Nachrichten mit in den Vordergrund gestellt - die Anbindung der vielen Nichtregierungs-Organisationen und die Förderung ihres Austausches bei der Stärkung der demokratischen Entwicklung der Region.

Insgesamt an erste Stelle gesetzt hat Deutschland die Förderung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit - für den Präsidenten der Vereinigung der baltischen Handelskammern, den Kieler IHK-Hauptgeschäftsführer Wolf-Rüdiger Janzen, eine der herausragendsten Einstufungen. Sogar die beobachtenden Vertreter Frankreichs und Großbritanniens hätten - so Janzen - die herausragende Entwicklung des Ostseeraumes in Bergen anerkannt; die Briten ausdrücklich mit dem Wunsch, daran beteiligt zu werden. Fischers Arbeitsplan sieht den weiteren Abbau von Handelshemmnissen vor, die Einbindung in eine europäische Verkehrsplanung, Verfolgung der Errichtung eines Energieverbundes rund um die Ostsee, Suche nach verbesserten Finanzierungsmöglichkeiten. Ganz wichtig für den künftigen Ostseearbeitsstab in Berlin: Eine "Ad-hoc-Task Force" zur Nutzung neuer Informationstechnologien soll gebildet werden, "alle" Möglichkeiten zur Förderung der grenzüberschreitenden Wirtschaftsbeziehungen durch elektronischen Handel geprüft werden.

Deutschland will außerdem die Brüsseler EU-Kommission als aktiven Partner in den Ostseerat einbinden. Dazu soll eine Liste vorrangiger regionaler Projekte aufgestellt werden, die in einen "Aktionsplan nördliche Dimension" eingehen sollen.Als eines der herausragendsten Ergebnisse der Bergener Ratssitzung nannte Fischer, dass nun "die Zukunft des Ostseerates in der Zusammenarbeit mit Russland" gestartet sei.


Veröffentlicht in Kieler Nachrichten, 23.06.00





21.06.2000

Wird Königsberg zum"schwarzen Loch"?


Ein gutes Stück Konfliktbewältigung war gestern zum Auftakt der neunten Sitzung des in Bergen/Norwegen tagenden Ostseerates angesagt; im Zentrum der mannigfaltigen zumeist bilateralen Gespräche stand außerdem das Ostseeratsmitglied Russland. Heute wird Deutschlands Außenminister Joschka Fischer mit der Übernahme des Vorsitzes von Norwegen die Schwerpunkte seiner Präsidentschaft vorstellen.


Anlass des hinter den Kulissen schon seit längerem schwelenden Konfliktes ist die Ostseeratsinstitution des Beauftragten für die Einhaltung der Menschenrechte. Die baltischen Staaten Lettland und Estland mit ihrem hohen Anteil russischer Bevölkerung (bis über 30 Prozent) hatten dem langjährigen dänischen Amtsinhaber Ole Espersen immer wieder vorgeworfen, sich zu sehr auf Russlands Seite zu stellen und ihnen eine Diskreminierung der in Estland und Lettland lebenden Russen vorzuwerfen, die so nicht gegeben sei. Tatsächlich hatten sich insbesondere die skandinavischen Staaten und auch die deutsche Seite wiederholt hinter Estlands und Lettlands Position und damit gegen Espersen gestellt. Gestern abend kristallisierte sich in Bergen heraus, dass Espersen nicht erneut als "Menschenrechtsbeobachter" zur Verfügung steht.

Offensichtlich noch nicht befriedigend ausdiskutiert blieb allerdings vorerst auch eine Neudefinition dieser Ostseeratseinrichtung im Raum stehen; eine mögliche Einschränkung oder gar Abschaffung wird von Russland bisher strikt abgelehnt - die für diese Sitzung in Bergen angedachte Schaffung eines "Kommissars für die Förderung der demokratischen Entwicklung" erscheint der russischen Delegation jedenfalls als Ersatz nicht ausreichend.

Die frühzeitig angereiste russische Delegation (Deutschlands Außenminister Fischer wird - wie auch andere seiner Amtskollegen erst heute zum Frühstück in Bergen erscheinen) hatte gestern ohnehin ein prall gefülltes Programm: stolz konnte Außenminister Iwanow gestern abend eine grundsätzliche Vereinbarung mit Norwegen über Zusammenarbeit insbesondere im Bereich des Umweltschutzes verkünden. Russland sei im übrigen sehr interessiert an einer Zusammenarbeit bei Entwicklungsprojekten im nordeuropäischen Bereich, deutete Iwanow die offensichtliche Bereitschaft Russlands zu einer Zusammenarbeit im Rahmen der finnischen Initiative "nördliche Dimension der EU" an.

In den Rahmen der inzwischen zur EU-Politik gewordenen "nördlichen Dimension" soll auch auf die spezielle Situation der russischen Exklave Kaliningrad eingegangen werden. Hintergrund ist, dass in absehbarer Zeit alle Landgrenzen Kaliningrads EU-Grenzen sein werden. Theoretisch würden dann Kiainingrader Russen nur noch mit EU-Visum zu ihren Verwandten ins übrige Russland reisen dürfen; auch die Landversorgung Kaliningrads würde dann EU-Bestimmungen unterworfen sein. Bestreben der übrigen der Ostseeratsstaaten - und auch der EU - ist deshalb eine Unterstützung und weitgehende Einbindung der Exklave in das EU-Gebiet - "damit Köngisberg nicht als schwarzes Loch in der Region bleibt" , wie es in Bergen hieß.

Die weitere Verfolgung dieser politischen Aufgaben wird nach dieser neunten Ostseeratszusammenkunft Deutschland maßgeblich übernehmen müssen. Außenminister Joschka Fischer wird das heute in seiner Erklärung zu den Schwerpunkten der bis zum nächsten Treffen im Juni 2001 in Hamburg dauernden deutschen Präsidentschaft mit aufzählen. Ebenfalls als Ziel wird in der deutschen Erklärung der weitere Abbau von Handelshemmnissen enthalten sein. Zu diesem Punkt sitzt in Bergen der Kieler IHK-Hauptgeschäftsführer Janzen als Präsident der Ostseehandelskammern mit am Tisch der Außenminister.

Veröffentlicht in Kieler Nachrichten, 22.06.00



20.06.2000

Wie Joschka Fischer in die Pflicht gedrängt wird


Die Erwartungen gerade aus dem eigenen Lande sind groß: Wenn zum Abschluss des ab heute in Bergen (Norwegen) tagenden Ostseerats Außenminister Joschka Fischer für ein Jahr den Vorsitz übernimmt, weiß er sich bereits durch eine Fülle von Anregungen, Aufforderungen und Initiativen in die Pflicht gedrängt.


Deutschland müsse endlich den Norden wiederentdecken, forderte erst unlängst an dieser Stelle der frühere schleswig-holsteinische Justiz- und Europaminister Gerd Walter. Die politische und wirtschaftliche Bedeutung der Region werde hier immer noch unterschätzt, so der als "Mr. Ostsee" über das baltische Meer hinaus bekannte SPD-Politiker in einem Beitrag für die Kieler Nachrichten. Von Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis folgte unmittelbar darauf die Aufforderung an die Bundesregierung, sie möge in Bergen einen "kraftvollen Vorsitz im Ostseerat" übernehmen. Und Wochen zuvor hatte schon eine Gruppe norddeutscher CDU-Bundestagsabgeordneter eine "Initiative zur Stärkung der Ostseeregion" als Antrag in den Bundestag eingebracht. Inhalt unter anderem: Die Forderung an die Bundesregierung, "klare und sachbezogene Positionen für eine Ostsee-Politik im 21. Jahrhundert" zu formulieren - ein Ziel-Katalog müsse her, eine "Europa-Initiative für die Ostseeregion" sei zu starten. Unterzeichner unter anderen: Angelika Volquartz, Peter Kurt Würzbach, Volker Rühe, Birgit Schnieber-Jastram, Dietrich Austermann.

Dem wollten die Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen nicht nachstehen: "Die Chancen der Ostseekooperation nutzen", forderten sie in einem "Antrag" an die Fraktionsgremien, aus dem wie aus dem CDU-Papier eine parlamentarische Vorlage erwuchs. Ihr Zehn-Punkte-Katalog beginnt bei der Aufforderung an die Bundesregierung, den Ostseeratsvorsitz "aktiv wahrzunehmen", reicht über das Verlangen nach Einbeziehung der nichtstaatlichen "Graswurzel-Initiativen" sowie nach Integration der Region Kaliningrad in die Ostseezusammenarbeit bis zum Begehren, weiterhin eine mit den norddeutschen Ländern abgestimmte Ostseepolitik zu betreiben. "Wenn wir auf diesem Wege die Chancen der Ostseekooperation nutzen können, so werden nicht nur die norddeutschen Bundesländer von diesem Prozess profitieren können, sondern am Ende das gesamte Haus Europa", endet der Entschließungsantrag der Fraktionen. Das hatte - mit anderen Worten - Gerd Walter in den Kieler Nachrichten auch schon geschrieben: Die "Zukunftsregion Ostsee" habe alle Chancen im Europa von Morgen; sie müsse sie allerdings auch nutzen - und: "Der Ostseerat sollte dabei wieder die führende Rolle übernehmen".

In Joschka Fischers Ministerium in Berlin ist das offenbar angekommen. Deutschland wolle dem Ostseerat "mehr politisches Gewicht" geben, wurde dort gestern versichert. Als Schwerpunkte während des deutschen Vorsitzes wurden gestern Nachmittag unter anderem der Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, die Verbesserung der Beziehungen zwischen Rat und Europäischer Union sowie eine stärkere Zusammenarbeit im Umweltschutz genannt. Konkret: In Bergen soll ein Kommissar installiert werden, der sich um die Förderung der demokratischen Entwicklung (das zielt auf den nordöstlichen Raum ab) kümmert. In Kaliningrad soll eine Euro-Fakultät errichtet werden, wie es sie bereits in Tartu, Riga und Vilnius gibt. Und: In die Zusammenarbeit sollen während der deutschen Präsidentschaft vor allem die Länder Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg einbezogen werden.

PETER J. GOLLNIK
Veröffentlicht in Kieler Nachrichten, 21.06.00

 

 

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