DER OSTSEERAT | |||
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22.06.2000
Veröffentlicht in Kieler Nachrichten, 23.06.2000 22.06.2000
Die
russische Delegation - mit weitem Abstand die größte
in Bergen und von einem ansehnlichen Medientross begleitet -
hatte sich äußerst kooperativ an der Ratssitzung beteiligt,
berichteten Teilnehmer aus den unter Ausschluß der Öffentlichkeit
laufenden Beratungen. Erstmals habe Russland die Einbeziehung
seines Kaliningrader Gebietes in die Politik von Ostseerat und
EU als "besonders zu entwickelndes Projekt" ausdrücklich
befürwortet. Zuvor war erst kurz vor dieser Ostseeratstagung
brisant gewordenes Streitthema offenbar zur Zufriedenheit Russlands
bereinigt worden: Die insbesondere von Estland und Lettland angefeindete
Ostseeratseinrichtung des Menschenrechtskommissars wird es weiterhin
geben - allerdings heißt sie jetzt anders, und auch das
Mandat wechselt seinen Inhaber. Als Kommissarin für "demokratische
Entwicklung" wird in der Nachfolge ihres Landsmannes Ole
Espersen die Dänin Helle Degen das Amt bis September 2002
inne haben. Espersen war bei Estland und Lettland in Ungnade
gefallen, weil er nach Ansicht dieser beiden baltischer Staaten
deren Umgang mit dem dort starken russischen Bevölkerungsanteil
übertrieben kritisiert haben soll. Dagegen hatte sich Russland
immer vehement hinter Espersen gestellt und eine Änderung
bei der Einrichtung des Kommissars strikt verweigert. Seit gestern
nun wird - mit russischer Zustimmung - das Amt der Espersen-Nachfolgerin
definiert als "Instrument zur Förderung und Festigung
der demokratischen Entwicklung in den Mitgliedsstaaten, gründend
auf dem Respekt vor den Menschenrechten". (nik) Veröffentlicht in Kieler Nachrichten, 23.06.2000
Letzteres weist die vermutlich interessantesten Punkte auf, von denen einiges auch gleich in Bergen in Gang gebracht wurde. So wird es noch in diesem Jahr eine weitere Euro-Fakultät (neben Tartu, Riga und Vilnius) in Königsberg geben. Vorerst auf drei Jahre projektiert, werden dort die Studienrichtungen Ökonomie und Recht unterstützt. In Bergen sagten für das Projekt Euro-Fakultät die als Beobachter teilnehmenden USA maßgebliche finanzielle Unterstützung zu. Weiter soll die Zusammenarbeit der Hochschulen gefördert werden mit dem Ziel der "Ausschöpfung des Wissenspotentials der Region". Wichtig auch für den deutschen Vorsitz - und von Außenminister Fischer gegenüber den Kieler Nachrichten mit in den Vordergrund gestellt - die Anbindung der vielen Nichtregierungs-Organisationen und die Förderung ihres Austausches bei der Stärkung der demokratischen Entwicklung der Region. Insgesamt an erste Stelle gesetzt hat Deutschland die Förderung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit - für den Präsidenten der Vereinigung der baltischen Handelskammern, den Kieler IHK-Hauptgeschäftsführer Wolf-Rüdiger Janzen, eine der herausragendsten Einstufungen. Sogar die beobachtenden Vertreter Frankreichs und Großbritanniens hätten - so Janzen - die herausragende Entwicklung des Ostseeraumes in Bergen anerkannt; die Briten ausdrücklich mit dem Wunsch, daran beteiligt zu werden. Fischers Arbeitsplan sieht den weiteren Abbau von Handelshemmnissen vor, die Einbindung in eine europäische Verkehrsplanung, Verfolgung der Errichtung eines Energieverbundes rund um die Ostsee, Suche nach verbesserten Finanzierungsmöglichkeiten. Ganz wichtig für den künftigen Ostseearbeitsstab in Berlin: Eine "Ad-hoc-Task Force" zur Nutzung neuer Informationstechnologien soll gebildet werden, "alle" Möglichkeiten zur Förderung der grenzüberschreitenden Wirtschaftsbeziehungen durch elektronischen Handel geprüft werden. Deutschland will außerdem die Brüsseler EU-Kommission als aktiven Partner in den Ostseerat einbinden. Dazu soll eine Liste vorrangiger regionaler Projekte aufgestellt werden, die in einen "Aktionsplan nördliche Dimension" eingehen sollen.Als eines der herausragendsten Ergebnisse der Bergener Ratssitzung nannte Fischer, dass nun "die Zukunft des Ostseerates in der Zusammenarbeit mit Russland" gestartet sei.
Offensichtlich noch nicht befriedigend ausdiskutiert blieb allerdings vorerst auch eine Neudefinition dieser Ostseeratseinrichtung im Raum stehen; eine mögliche Einschränkung oder gar Abschaffung wird von Russland bisher strikt abgelehnt - die für diese Sitzung in Bergen angedachte Schaffung eines "Kommissars für die Förderung der demokratischen Entwicklung" erscheint der russischen Delegation jedenfalls als Ersatz nicht ausreichend. Die frühzeitig angereiste russische Delegation (Deutschlands Außenminister Fischer wird - wie auch andere seiner Amtskollegen erst heute zum Frühstück in Bergen erscheinen) hatte gestern ohnehin ein prall gefülltes Programm: stolz konnte Außenminister Iwanow gestern abend eine grundsätzliche Vereinbarung mit Norwegen über Zusammenarbeit insbesondere im Bereich des Umweltschutzes verkünden. Russland sei im übrigen sehr interessiert an einer Zusammenarbeit bei Entwicklungsprojekten im nordeuropäischen Bereich, deutete Iwanow die offensichtliche Bereitschaft Russlands zu einer Zusammenarbeit im Rahmen der finnischen Initiative "nördliche Dimension der EU" an. In den Rahmen der inzwischen zur EU-Politik gewordenen "nördlichen Dimension" soll auch auf die spezielle Situation der russischen Exklave Kaliningrad eingegangen werden. Hintergrund ist, dass in absehbarer Zeit alle Landgrenzen Kaliningrads EU-Grenzen sein werden. Theoretisch würden dann Kiainingrader Russen nur noch mit EU-Visum zu ihren Verwandten ins übrige Russland reisen dürfen; auch die Landversorgung Kaliningrads würde dann EU-Bestimmungen unterworfen sein. Bestreben der übrigen der Ostseeratsstaaten - und auch der EU - ist deshalb eine Unterstützung und weitgehende Einbindung der Exklave in das EU-Gebiet - "damit Köngisberg nicht als schwarzes Loch in der Region bleibt" , wie es in Bergen hieß. Die
weitere Verfolgung dieser politischen Aufgaben wird nach dieser
neunten Ostseeratszusammenkunft Deutschland maßgeblich
übernehmen müssen. Außenminister Joschka Fischer
wird das heute in seiner Erklärung zu den Schwerpunkten
der bis zum nächsten Treffen im Juni 2001 in Hamburg dauernden
deutschen Präsidentschaft mit aufzählen. Ebenfalls
als Ziel wird in der deutschen Erklärung der weitere Abbau
von Handelshemmnissen enthalten sein. Zu diesem Punkt sitzt in
Bergen der Kieler IHK-Hauptgeschäftsführer Janzen als
Präsident der Ostseehandelskammern mit am Tisch der Außenminister. Veröffentlicht in Kieler Nachrichten, 22.06.00
20.06.2000 Wie Joschka Fischer in die Pflicht gedrängt wird
Dem wollten die Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen nicht nachstehen: "Die Chancen der Ostseekooperation nutzen", forderten sie in einem "Antrag" an die Fraktionsgremien, aus dem wie aus dem CDU-Papier eine parlamentarische Vorlage erwuchs. Ihr Zehn-Punkte-Katalog beginnt bei der Aufforderung an die Bundesregierung, den Ostseeratsvorsitz "aktiv wahrzunehmen", reicht über das Verlangen nach Einbeziehung der nichtstaatlichen "Graswurzel-Initiativen" sowie nach Integration der Region Kaliningrad in die Ostseezusammenarbeit bis zum Begehren, weiterhin eine mit den norddeutschen Ländern abgestimmte Ostseepolitik zu betreiben. "Wenn wir auf diesem Wege die Chancen der Ostseekooperation nutzen können, so werden nicht nur die norddeutschen Bundesländer von diesem Prozess profitieren können, sondern am Ende das gesamte Haus Europa", endet der Entschließungsantrag der Fraktionen. Das hatte - mit anderen Worten - Gerd Walter in den Kieler Nachrichten auch schon geschrieben: Die "Zukunftsregion Ostsee" habe alle Chancen im Europa von Morgen; sie müsse sie allerdings auch nutzen - und: "Der Ostseerat sollte dabei wieder die führende Rolle übernehmen". In Joschka Fischers Ministerium in Berlin ist das offenbar angekommen. Deutschland wolle dem Ostseerat "mehr politisches Gewicht" geben, wurde dort gestern versichert. Als Schwerpunkte während des deutschen Vorsitzes wurden gestern Nachmittag unter anderem der Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, die Verbesserung der Beziehungen zwischen Rat und Europäischer Union sowie eine stärkere Zusammenarbeit im Umweltschutz genannt. Konkret: In Bergen soll ein Kommissar installiert werden, der sich um die Förderung der demokratischen Entwicklung (das zielt auf den nordöstlichen Raum ab) kümmert. In Kaliningrad soll eine Euro-Fakultät errichtet werden, wie es sie bereits in Tartu, Riga und Vilnius gibt. Und: In die Zusammenarbeit sollen während der deutschen Präsidentschaft vor allem die Länder Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg einbezogen werden. PETER
J. GOLLNIK
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